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The joghurt is the limit

Eine Vorbemerkung: Der Joghurt als solcher dient hier nur als Beispiel und Metapher. Ich möchte mich ausdrücklich von Vorturteilen und der Diskreminierung von oder gar Gewalt gegen Joghurt so wie allen anderen Milchprodukten distanzieren. Ich respektiere Joghurt, egal ob links- oder rechtsdrehend und will keinen Joghurt diffamieren oder bloßstellen. Ich würde jederzeit für Joghurtrechte auf die Strasse gehen. Fuck Laktoseintoleranz!

 

Ich versuche momentan immer wieder mal was neues zu probieren. Nicht in meinem gesamten Lebensbereich, aber immerhin im gastronomischen. „Was der Bauer nicht kennt, das frisst er nicht“ heißt es da, wo ich herkomme und nach der Maxime habe ich lange gelebt und mir einiges verwehrt. Jetzt versuche ich nicht mehr ganz so sehr Ostwestfale zu sein und dem Bauern in mir mal ein paar neue Genüßchen schmackhaft zu machen. Zum Beispiel habe ich als kleiner Bub Rosenkohl stets aufs Tiefste verachtet. Zu bitter, zu bäh. Mochte ich überhaupt nicht. Aber neulich dachte ich mir, ich könne es mal wieder versuchen. Schließlich ist das Zeug ziemlich gesund, ein regionales Produkt, das man nicht unter CO²-Verbrennung epischen Ausmassen um den halben Planeten schippern muss und im Alter wird man ja bekanntlich empfänglicher für Bitterstoffe. Also kochte ich mir eine gutbürgerliche Mahlzeit mit ordentlich Rosenkohl, ließ meinen inneren Bauern einen guten Mann sein und schaufelte mir ordentlich was rein und siehe da: schmeckt immer noch scheiße.
Aber solch kleine Rückschläge halten mich nicht davon ab, trotzdem auch mal abwegiges zu probieren, zum Beispiel beim Joghurt. Statt wie gewohnt meinem Beuteschema Schoko/Nuss/Erdbeer/Kirsch zu folgen, taste ich mich an exotischeres ran. Mal den Kopf aufmachen und den Gaumen. Sachen ausprobieren. Neulich landete die Sorte „Panacotta Mango-Kirsch“ in meinem Einkaufskorb, ein weiterer Beweis dafür, das es uns in Deutschland nicht so schlecht gehen kann, wenn es Joghurt „Panacotta Mango-Kirsch“ gibt. Erst zuhause beim Einräumen der Einkäufe fiel mir ein Zusatz unter dem Markenlabel auf: „Limitiert“.
„Stark“, dachte ich zuerst. „Den Joghurt laminiere ich ein und in zehn Jahren verticke ich ihn bei ebay für einen Haufen Bitcoins.“
Das habe ich natürlich nicht gedacht, ich bin ja nicht blöd. Zumindest nicht so blöd. Das ist nur ein billig literarisch-humoristisches Mittel, das den Leser oder die Leserin dazu bringen soll, über das Bild von einlaminiertem Joghurt zu schmunzeln, wenn nicht sogar sich beherzt auf die Schenkel zu klopfen. Vielmehr dachte ich: „Was ist das denn wieder für ein Marketingschwachsinn?“
Wie die meisten klugen Menschen höre ich gute Musik und lese Comics. Und in diesen Bereichen bedeutet „limitiert“, das eine CD oder Platte oder ein Comic nur in einer sehr geringen Auflage erscheint. So gering, das es an Verkaufsständen gerne mal zu tumultartigen Zuständen kommt und sogar Gewaltexzessen kommt. Da wird mit Mängelexemplaren aufeinander eingedroschen, sich gegenseitig überreife Pickel ausgedrückt, das es nur so splattert und mit einem Anruf bei der gegnerischen Mutter gedroht. Es geht schlimm und schaurig zu auf Comic- und Plattenbörsen, aber glaubt mal bloß nicht, das sich da mal Blauhelme oder Ärzte ohne Grenzen blicken lassen, die haben auch ihre Grenzen. Hat man sich eine sonnenoberflächenheiß begehrete Nullnummer erkämpft oder ein fünfzehnfarbiges Vinyl mit Tannenduft, dann gibt es zwei Sorten von Käufern. Die eine hortet ihren Erwerb als Spekulationsobjekt und wartet emotionslos die Wertsteigerung ab, die andere setzt sich in der heimischen Einliegerwohnung auf einen Felsen, beobachtet lustvoll vor sich hin verwahrlosend die in einer Vitrine sorgsam verstaute Beute und murmelt „Mein Schatz. MEIN Schaaaatz!“ vor sich hin. Ein Kaffeefleck, ein Knick oder gar ein fettiger Fingerabdruck auf der Rarität haben den sofortigen brutalen Suizid des Käufers mit anschließender anonymer Feuerbestattung zur Folge.
Anders gesagt: „limitiert“ steht für „besonders“ oder „selten“ oder „besonders selten“. Während ich den „limitierten“ Joghurt betrachte, zweifele ich stark daran, das er besonders selten ist. Niemand hat versucht mir ins Ohr zu beissen, als ich im Laden danach gegriffen habe oder mich vor der Kühltheke umgetakelt. Ich habe auch keine besonders lange Schlange aufgeregter Joghurtgroupies vor dem Supermarkt bemerkt. Da war überhaupt keine Schlange. Nicht mal ein Wurm.
Es gibt einmal im Jahr Aktionen für Nerds wie den „Gratis Comic Tag“ oder den „Record store day“. Da gibt es Vorfreude unter den Sammlern, man verabredet sich und steht pünktlich zur Ladeneröffnung auf der Matte. Vor der Tür campiert wird eher nicht, das ist mehr was für Leute, die unbedingt ein iPhone am Erscheinungstag haben müssen, sonst zürnt ihnen der heilige Jobs und es drohen Hirnfäule und Unfruchtbarkeit oder sowas. Das sind keine Nerds, das sind marketinghörige Vollpfosten mit zuviel Geld, die sich mal lieber ein Leben zulegen sollten statt hoffnungslos überteuerter Spielzeuge. Statt zu campieren, wird bei Vinylfans lieber morgens gemeinsam vorgeglüht, das heißt man kauft sich schon mal in Onlineshops warm und sortiert die Sammlung neu. Es ist was besonderes.
Ein Joghurt ist eher nichts besonderes. Niemand hat mich angerufen, mir eine Nachricht geschrieben oder gepostet: „ALTER! IN SECHS TAGEN KOMMT DER PANACOTTA-MANGO-KIRSCH-SAHNEJOGHURT IN DIE STORES. OMG, ICH HALTE DIE VORFREUDE KAUM AUS. WER SPOILERT WIRD ENTFREUNDET.“ Limitierter Joghurt löst die Eskalationsstufe Null aus. Es gibt ihn in jedem Laden, er kostet das gleiche wie seine beliebigen Brüder und Schwestern und sein Geschmackserlebnis gleicht dem eines… Joghurts. Nicht mal der Becher ist besonders, außer das „Limitiert“ drauf steht. Oh Mann, ich hoffe es gibt da draußen niemanden, dessen Lebensinhalt daraus besteht, diese Becher zu sammeln. Falls doch: Halte aus, Hilfe ist unterwegs! Du schaffst das!
Es geht bei diesen Joghurten nur um eine zeitliche Limitierung. Das Zeug gibt es ein paar Monate, dann eben nicht mehr. Deswegen verfällt niemand in Schnappatmung. Was soll so ein Mist also? Überall gibt es jetzt „limitierte“ Dinge, die nicht limitiert sind. Limitierte Autos, limitierte Laptops, limitierte Fanta, limitierte Gartenschläuche. Es geht natürlich darum unsere primitivsten Instinkte anzusprechen, dieses Jäger und Sammler-Ding tief in uns. Funktioniert ja auch, zum Beispiel beim erwähnten iPhone. Um moderne Technik zu verkaufen, spricht man den Höhlenmenschen in uns an. Was nur wieder heißt, das wir uns kein wirkliches Stück weiterentwickelt haben, einzig das Drumherum sieht ein bisschen anders aus. Wir wollen immer noch das beste Stück vom toten Mammut. Sollen die anderen Elefantenarsch fressen, wir kriegen das Herz und davon geben wir auch nichts ab. Es geht darum etwas besonderes zu haben, um etwas besonderes zu sein. Und exakt das macht dich gewöhnlich. Egal wie limitiert du im Geiste bist: Du bist und bleibst ein Joghurt.

Ein Kommentar zu “The joghurt is the limit

  1. Kunst als Gegenwehr, mit hohem Ablachfaktor, ist und bleibt für mich die beste! Vielen Dank für die echt gute Unterhaltung, Micha.
    In recht-drehender Schreibung gebührte Dir zwar meinerseits, wörtlich, eine Vier minus („gerade noch ausreichend“), aber der Schnitt liegt in Deutschland inzwischen bei … ich glaube Acht plus („annähernd tödlich“). Es wird Dir in diesem Punkt also kein Mensch für den Rest Deines Lebens jemals irgendetwas sagen … nur ich! SO SCHÖN, auch umgekehrt einzigartig für Dich zu sein: Dein Fän Schnurpfeil

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